Wie man von Politikern vertreten werden will – und wie nicht

Man könnte wohl zum Milliardär werden, wenn man ihn endlich züchten würde: Den perfekten politischen Repräsentanten. Quasi einen Captain America, der in den Labors der (Politik-)Wissenschaftler in einem kranken Experiment geschaffen wird, um alle Menschen so zu vertreten, wie sie das von einem Politiker erwarten. Gleichzeitig alt und jung, konservativ und zukunftsorientiert, immer den Bürgerwillen bedenkend und doch auf seine eigenen Kompetenzen vertrauend. Ja, wie wollen denn eigentlich die Bürger vertreten werden? Eine Suche nach der wahren Form der Vertretung, der Verantwortung von Politikern und dem Hintergrund für den Schuss ins eigene Bein von Donald Trump.

Fifty Shades of Political Representation

Es gibt nicht die eine Form der politischen Vertretung. Sich ‚vertreten zu fühlen‘ kann immer auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Diese Erkenntnis hat auch die Politikwissenschaftlerin Hannah Pitkin 1967 in ihrem Standardwerk ‚The Concept of Representation‘ verarbeitet, als sie die gängige Einteilung in deskriptive, formale, symbolische und substantielle Repräsentation beschrieb. Wird der 24-jährige Student, der diesen Beitrag schreibt (obwohl er gerade wirklich was für die Uni machen sollte) am besten vertreten durch einen Politiker derselben Altersgruppe, oder vielleicht eher durch einen jenen, der sich für die linken Ideale einsetzt, die er in eben diesem Beitrag verarbeitet? Beides hätte seine Berechtigung: Ein Repräsentant, der mein Weltbild auf einer politischen Ebene teilt, weiß was ich in der Theorie will, einer der ebenfalls studiert, kann möglicherweise besser nachvollziehen, durch welche Qualen ich in der Praxis meines Alltags gehe. Die Frage begleitet uns gerade bei Wahlen am meisten, wo wir politische Vertreter auf Jahre mit unseren Stimmen in demokratische Institutionen schicken. Die durchaus originelle Idee, institutionalisierte Politiker abzuschaffen und durch regelmäßige Abstimmungen von jeweils zufällig ausgewählten Bürgern – welche die Zusammensetzung der Gesellschaft am besten wiedergeben würde – zu ersetzen, beruht auf einem radikalisierten Gedanken Pitkins deskriptiver Repräsentation. Aber würde ich, sofern ich das Glückslos ziehe, denn auch die Wünsche und Bedürfnisse aller männlichen, weißen 24-jährigen Studenten der Politik- und Rechtswissenschaft vertreten?

Ein Sklave meiner Wünsche oder doch lieber mündig?

Das Gedankenexperiment der randomisierten Bürgerforen stößt schnell an offensichtliche Grenzen: Deskriptiv, äußerlich repräsentiert werden beinhaltet leider nicht automatisch substanzielle, also inhaltliche Repräsentation, genauso wäre der bürokratische Aufwand enorm und die Politikverdrossenheit des österreichischen Bürgers Gift für den ganzen Entscheidungsprozess. Generell steckt hinter der Vertretungsdebatte eine größere Grundsatzfrage: Soll der Politiker, dem ich meine Stimme anvertraue, Delegierter meines Willens sein oder vertraue ich ihm damit die Macht an, nach seinem besten Gewissen zu entscheiden? Beispielsweise befindet sich ein Nationalratsabgeordneter der SPÖ in einer demokratietheoretischen Zwickmühle, wenn in einer Abstimmung zum Mietpreisdeckel die Interessen seiner Wählerschaft eindeutig in die Richtung „Ja“ gehen, während er seinen Kompetenzen nach vielleicht einen Mietpreisdeckel für langfristig nicht sinnvoll einschätzt. Das Beispiel ist freilich naiv gewählt, der Politiker wird zumeist seinem Parlamentsklub folgen. Es zeigt jedoch, dass nicht immer klar ist, was die Aufgabe eines Repräsentanten genau sein soll. Die Wissenschaft nennt diese unterschiedlichen Auffassungen der Vertretungsrolle Delegate und Trustee.

Was wir wirklich über Repräsentation wissen

Entgegen der allgemeinen Vermutung wurde das Thema ‚Politische Repräsentation‘ bisher erstaunlich überschaubar in der wissenschaftlichen Literatur aufgearbeitet. Die theoretischen Konzepte beziehen sich meistens auf die Grundlagenarbeit von Hannah Pitkin oder des von Andrew Rehfeld behandelten ‚Delegate vs Trustee‚-Prinzips. Umso spannender sind die empirischen Funde rund um die Frage, wie Menschen repräsentiert werden wollen. Absolut verblüffend: In einer amerikanischen Studie hat sich gezeigt, dass übertriebenes negatives Campaigning nach hinten losgehen kann. Von einem republikanischen Kandidaten, der permanent Gegenkandidaten in den Schmutz zieht, fühlten sich Anhänger der republikanischen Partei tatsächlich weniger vertreten, als von jenem, der sich gegen die persönlichen politischen Inhalte einsetzt. Umso absurder wirkt in diesem Kontext das Auftreten von Donald Trump, der über Jahre genau diese rhetorische Taktik verfolgte. Im Vergleich von deskriptiver und substanzieller Repräsentation hat sich wiederum gezeigt, dass die äußerlichen Charakteristika von Kandidaten weniger wichtig werden, je mehr sich der Wähler mit dessen politischen Inhalten auseinandersetzt. Was abschließend am ironischsten erscheint, ist die Erkenntnis, dass sich Wähler am seltensten von Menschen des gleichen Berufs vertreten lassen wollen. Erklärt werden kann das vielleicht mit dem mangelnden Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – oder jene der Arbeitskollegen.