Argentinien ist Weltmeister. Die Bilder aus den Straßen von Buenos Aires zeigen, was das für die Bevölkerung des südamerikanischen Staates bedeutet. Im Fußball kann Österreich da zwar nicht konkurrieren, dafür sind wir in einer anderen Disziplin nah dran am Titel: Das hiesige Staatsbürgerschaftsrecht ist weltweit eines der restriktivsten, rund 1,4 Millionen Ansäßige haben keinen oder nur erwerten Zugang zur Staatsbürgerschaft – gleichbedeutend mit der Verweigerung von fundamentalen demokratischen Rechten. Während gerade rund 10% der Argentinier ihre Hauptstadt unsicher machen, dürfen 18% der österreichischen Bevölkerung nicht wählen. Die heimische Parteienlandschaft bewegt sich zwischen Freude über die soziale Exklusion und Angst vor einer klaren Positionierung. Wer darf Österreicher sein? Eine Perspektive.
Staatsbürgerschaftsgesetz oder „VIP only„
Wer in Österreich wie und warum die Staatsbürgerschaft erhält, steht im ominösen Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, kurs „StbG“, festgeschrieben. Die einfachste Art ist zugleich die häufigste Art, um sich selbst hochoffiziell als Österreicher bezeichnen zu dürfen: Gemäß dem „ius sanguinis“ übernimmt man bei der Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft eines Elternteils, soweit so einfach. Danach wird es erheblich schwieriger. Erfordert wird mindestens zehnjähriger ununterbrochener Aufenthalt in Österreich (mit mindestens fünfjähriger Niederlassungsbewilligung), Unbescholtenheit, Deutschkenntnisse auf Matura-Fremdsprachenniveau, Grundkenntnisse über die demokratische Ordnung, ein gewisses Mindesteinkommen, Verlust der bisherigen Staatsbürgerschaft, und und und… die rechtlichen Einzelheiten¹ erspare ich jedem Leser, das ist sogar mir als Jus-Student zu trocken. Was natürlich auffällt: Das Gesetz wirkt nicht so, als würde es dem Einbürgerungswilligen irgendetwas erleichtern wollen, im Gegenteil. Metaphorische Steine werden extra gesucht, um sie den Ansuchenden in den Weg zu legen.
Ein hohes Gut wird höher
Beschäftigt man sich mit den Koalitionskonstellationen zu den Zeiten der Novellierungen des StbG, kommt man schnell hinter die Motivation der Verschärfungen: 1985 noch auf Drängen des VfGH für die Gleichstellung von Mann und Frau unter Bundeskanzler Sinowatz (SPÖ) ausgearbeitet, erfolgte die erste große restriktive Reform unter der schwarz-blauen Koalition 1998, als erstmals Deutschkenntnisse als Zugangsvoraussetzungen normiert wurden, 2006 wurden während einer ÖVP-BZÖ Koalition quasi sämtliche Fristen für den Erhalt der Staatsbürgerschaft verlängert. Dass rechtspopulistische Parteien strategisch bei den Themen Asyl, Migration und damit verbunden natürlich auch Staatsbürgerschaft restriktive Politik betreiben, ist naheliegend. Die eigene Themenhoheit darf aus wahltaktischen Gründen natürlich nicht aufgegeben werden. Dass die christdemokratische ÖVP sich diesem Vorhaben anschließt, ist aus heutiger Sicht ebenfalls logisch – seit 2017 lässt die Partei nahezu keine Möglichkeit aus, in Migrationsfragen bei der FPÖ abzuschreiben – um die Jahrtausendwende war eine restriktive Positionierung in Staatsbürgerschaftsanliegen jedoch noch ein strategisches Novum, gezielt genutzt, um potenzielle Wähler nicht an eine immer stärker werdende FPÖ zu verlieren. Die Entwicklung steht im Zeichen einer Politik, die Staatsbürgerschaft zu einem immer höher werdenden Gut formen will.
Die Folgen einer Kurz(en) Ära
Dass das restriktive Pferd der Migrationspolitik die FPÖ zu Wahlerfolgen geritten hat, ist auch einem gewissen Sebastian Kurz, damals Integrationsstaatssekretär, nicht verborgen geblieben. So griff der Shooting-Star der heimischen Politikszene im Jahre 2013 das Thema diskursiv wieder auf, sprach davon, dass „gut Integrierte“ leichteren Zugang zur Staatsbürgerschaft erhalten sollten und ließ dies auch in das StbG einfließen. Die Message, die sich bis heute hält: Integration sollte am Ende eines langen Integrationsprozesses stehen, die Staatsbürgerschaft muss man sich erarbeiten. Im durch die Flüchtlingswelle 2015/16 angeheizten öffentlichen Diskurs ein Kassenschlager, bei fast jeder Wahl sind Asyl & Migration wahlentscheidende Themen. Aus dieser Argumentation ergeben sich jedoch einige Probleme, verbunden mit den Rechten, welche die Staatsbürgerschaft mit sich bringt. Das Wahlrecht zum Beispiel, welches Nicht-Staatsbürger*innen (mit wenigen Ausnahmen) auf allen Ebenen verwährt bleibt. Das Narrativ, dass man erst beweisen müsse, wie gut man in die soziale Gruppe integriert bleibt, bevor man mitentscheiden darf, impliziert, dass man zuerst sehr lange politisch nichts zu melden hat, bevor man gefragt wird. Die ganze Diskussion gleicht dann dem berühmten Henne-Ei-Problem: Wenn ich als in Österreich ansäßige Nicht-Staatsbürger*in (jahrelang) nicht demokratisch an Entscheidungen teilhaben darf, die mich unter Umständen stark betreffen und ich mich deshalb gesellschaftlich ausgeschlossen fühle, bin ich dann ein „Integrationsverweigerer“, der sich die Staatsbürgerschaft nicht verdient hat, oder ist genau dieses restriktive Staatsbürgerschaftsrecht, dass innerstaatliche Nicht-Staatsbürger*innen demokratiepolitisch ausschließt, das Grundproblem (oder ein verstärkender Faktor) der sozialen Exklusion?
Eine Partei hab‘ ich jetzt vergessen
Der öffentliche Diskurs zur Staatsbürgerschaft scheint ziemlich festgefahren zu sein, für die Lockerung der Einbürgerungsregeln bräuchte es vermutlich es eine Koalition links der Mitte, für die Änderung des nationalen Wahlrecht eine Änderung der Bundesverfassung. Apropos links der Mitte: Was sagt eigentlich die SPÖ zum Thema Staatsbürgerschaft? Genauso wie ich den progressiven Gegenspieler zu den konservativen Parteien im Lande in diesem Artikel bis jetzt außen vor gelassen habe, so hat die SPÖ scheinbar das Gleiche bei ihrer Positionierung in dieser Debatte getan. Die restriktive Seite des Parteispektrums hat schon vor Jahren ihre Revier markiert, die linksliberalen Grünen in ihrem ökosozialen Stil ebenfalls. Die SPÖ verfolgte deshalb lange das Motto „bevor du etwas falsch machst, mach mal lieber gar nix“ und wich dem Thema gnadenlos aus, um die potenziellen Wähler nicht zu verscheuchen. Das rächt sich derzeit, wo Asyl & Migration für die Wahlberechtigten wieder wichtiger werden und die themenführende FPÖ unter Herbert Kickl die Umfragen wieder anführt, 3 Jahre nach Ibiza. Den Braten (obwohl schon fast verbrannt) roch auch die rote Führungsriege und arbeitete in Wien eine Positionierung² für die Liberalisierung der Einbürgerung in Österreich aus, von Schwarz und Blau stark kritisiert – und tatsächlich auch vom Kanzlerkandidaten Nr.1, wenn es nach den parteiinternen Umfragen geht: Hans Peter Doskozil. Der eher rechtsgerichtete burgenländische Landeshauptmann wittert eine Chance auf den Partei- und vielleicht auch Regierungsvorsitz nach den nächsten Nationalratswahlen, letzteres mit Hilfe eine restriktiven Positionierung in der Migrations- und Staatsbürgerschaftsdebatte. Parteiobfrau Pamela Rendi-Wagner und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig vom linken Parteiflügel haben was dagegen. Ob die SPÖ schwach wird und Doskozil als Spitzenkandidat in den nächsten Wahlkampf schickt? Während die größte Oppositionspartei intern um ihre Positionierung debattiert, warten hunderttausende Österreicher in diesem Land auf rechtliche Gleichstellung.
Der Beitrag beruht weitgehend auf den Wissensfetzen, die ich aus einem PoWi-Masterseminar zum Thema soziale und rechtliche Inklusion & Exklusion durch das Staatsbürgerschaftsrecht angesammelt habe. Der Vortragende des Seminars, Prof. Gerd Valchars, hat letztes Jahr ein irrsinnig umfangreiches und tolles Buch zu genau diesem Thema veröffentlich, in Zusammenarbeit mit dem Migrationsexperten Rainer Bauböck. Als digitale Kopie ist es kostenlos im Internet erhältlich, ich kann es wirklich nur empfehlen, da es die rechtlichen Details und gesellschaftlichen Folgen mMn objektiv ablichtet: https://verlag.oeaw.ac.at/produkt/migration-und-staatsbuergerschaft/99200585?product_form=2159
¹ Wen die Details interessieren, verweise ich gern aufs Gesetz: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10005579
² Die sogenannte „Wiener Charta“ ist die Antwort der SPÖ Wien auf die Asylfrage und sieht unter anderem eine Verkürzung der Einbürgerungsfristen vor, also eine Liberalisierung im Staatsbürgerschaftsrecht. Der Hintergrund: Die Anzahl an nicht Wahlberechtigten ist in Wien am höchsten, rund 30% der Ansäßigen dürfen weder bei NRW noch bei den Wiener Landtagswahlen zur Urne schreiten, lediglich Unionsbürger*innen sind (wie überall in Österreich) bei Bezirksratswahlen teilweise wahlberechtigt.