„Das Internet ist für uns alle Neuland“ – der deutsche Satz des Jahres 2013, mit dem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mehr als 20 Jahre nach der Kommerzialisierung des World-Wide-Web unsterblich machte. Sinnbildlich für den Stereotypen des westlichen Politikers – alt, sesselklebend und weltfremd in Bezug auf Probleme – schaffte es die Regierungschefin, ungewollt mit einer kurzen aber inhaltsreichend Aussage zusammenzufassen, was die politische Jugend zunehmend von den etablierte Großparteien wegdriften lässt. Etliche Grass-Root-Movements, Randparteien sowie politische Extremisten haben hingegen damals schon längst verstanden, welches kommunikative Potenzial sich hinter dem Internet verbirgt. Sie nutzen seit jeher die dominanteste Form der digitalen Interaktion – Memes – um im 21. Jahrhundert politische Inhalte zeitgemäß und effektiv zu verbreiten.
Vom lustigen Bild zur subtilen Propaganda
Der Begriff „Meme“ ist vermutlich jedem Leser dieses Blogs geläufig. Die meisten Jugendlichen, jungen Erwachsenen und mittlerweile auch Boomer wissen aufgrund der durchdringenden Digitalisierung des Soziallebens, was Memes sind und brauchen, um Memes zu sein, wo man sie findet und wie man sie weiterverbreiten kann. Kein Wunder, dass sich nicht erst seit dem Aufstieg von Facebook, Instagram und Co. die interdisziplinäre Forschung mit dem Kulturphänomen „Meme“ beschäftigt. Psychologen, Kommunikationswissenschaftler und seit jüngstem auch Politikwissenschaftler versuchen den Impact von memetischen Bildern, Texten und Videos auf unseren Geist, die menschliche Verständigung sowie die Machtverhältnisse der Welt zu erforschen. Der Grund dafür wird mit einem Blick auf die Statistik klar: 60% der (amerikanischen) Millenials beziehen ihre aktuellen Nachrichten nicht aus dem Fernseher oder den großen Printmedien, sondern direkt von ihrem Social-Media Feed, wo sich Memes und seriöse Berichterstattung kreuzen. Versucht man nun Menschen politisch zu beeinflussen, macht es Sinn, sie in jener diskursiven Arena zu ködern, in der sie nicht nur die meiste Zeit verbringen, sondern auch wo auch die Grenzen zwischen Fakten, Meinungen und Entertainment verschwimmen.
Condescening Wonka und Pepe the Frog
Vor allem in den 2010er, aber auch schon späten 2000er Jahren wurden die ersten Internet Memes gezielt für politische Agenden ge- und auch missbraucht: Als bekanntestes Beispiel gilt „Pepe the frog“. Die ursprünglich harmlos und schlicht gemalte Figur, erschaffen 2005 vom Comiczeichner Matt Furie, wurde schnell von rechtsextremen Gruppierungen umstilisiert (unter anderem in Nazi-Uniformen) und zum Symbol für rassistischen Humor, der zwar auf den ersten Blick harmlos wirkt, aber mittlerweile sogar als Erkennungsmerkmal für Neonazis dient. Matt Furie selbst wehrt sich schon lange gegen den Missbrauch „seines“ Frosches, teils auch juristisch, womit er allerdings der rasanten Verbreitung von Memes im World-Wide-Web nicht effektiv entgegenwirken kann. Gene Wilders legendäre Darbietung als Willy Wonka in „Charly und die Schokoladenfabrik“ beispielsweise manifestierte sich im „Condescending Wonka Meme“, das ebenfalls von rechtsextremen (aber auch andersgesinnten) Aktivsten benutzt wird, um gegenläufige politische Meinungen ins Lächerliche zu ziehen. Die Liste an weiteren Beispielen ist lang, schließlich kann jedes Bild im Internet, egal mit welcher Intention es erschaffen wurde, durch visuelle oder textuelle Bearbeitung in neue Kontexte gezogen werden und so ideologische Botschaften übertragen.
Wenn Memes Wahlen entscheiden
Man könnte meinen, dass die Rolle von politischen Memes im gesellschaftlichen Diskurs trotz alledem überschaubar ist, schließlich handelt es sich meistens nur um (teils) lustige Bilder, die man schnell mal von seinen Familienangehörigen und Freunden geschickt bekommt. Für moderne Wahlkampfstrategen und Spin-Doctoren sind sie allerdings bereits seit langem ein wichtiges Werkzeug für politisches Campaigning: Bereits bei der US-Wahl 2012 wurde in republikanischen Internetforen (unter anderem auf Reddit und 4chan) und Email-Ketten mithilfe von Image-Macros Stimmung gegen den amtierenden demokratischen US-Präsidenten Barack Obama gemacht, teils mit satirisch durchdachten Konzepten, teils mit Falschinformationen. Der Einfluss auf das damalige Wahlergebnis war gering, jedenfalls nicht entscheidend. Obama wurde für vier weitere Jahre zum Präsidenten gewählt. Die „große Wende“ folgte dann 2016: In einem großteils über das Internet ausgetragenen Wahlkampf schafften es die Anhänger eines Entertainers, der bisher mehr mit skurrilen Aussagen als politischen Inhalten glänzte, ihn zum 45. Präsidenten der vereinigten Staaten zu pushen. Einige Politikwissenschaftler sind gar überzeugt, dass das Meme-Campaigning der „alt-right“-Bewegung, ein Sammelbecken für rechtsextreme, antisemitische und nationalistische Aktivisten, der entscheidende Faktor für den Sieg Donald Trumps gegen die demokratische Spitzenkandidatin Hillary Clinton war. Aber auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums profitierte ein Randkandidat vom Meme-Kult rund um seine Person: Bernie Sanders, seines Zeichens einer der wenigen bekannten amerikanischen Sozialdemokraten, erlebte seine eigene „Memefikation“ bei der Erbittung von Spendengeldern für seine Wahlkampagne und auch bei der Amtseinführung von Joe Biden 2021, als er mit schrägen Fäustlingen der Jänner-Kälte in Washington entgegenwirken wollte.
Wahlkampfstrategie der Zukunft?
Nachdem sich der Erfolg von Memes als politische Kommunikation spätestens durch die Person Donald Trump bestätigt hat, ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die Mainstreamparteien davon Wind bekommen und mithilfe des Internets versuchen, effektiv die Sarkasmus und Satire liebende Generation Z zu erobern. Zu beobachten war dies bereits im deutschen Wahlkampf 2021, als sich liberale und konservative Kräfte auf Instagram & Co gegen die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock einschossen und der Chef der FDP (und nunmehrige Finanzminister) Christian Lindner mit seinen wirtschaftliberalen Positionen zum Meme wurde. Klar ist jedenfalls, dass die klassische politische Meinungsbildung nicht mehr primär durch Fernsehduelle und die Berichterstattung in den Printmedien zustandekommt. Durch die weitläufige Dominanz der Sozialen Medien verschob sich auch der politische Diskurs in eine neue Arena, wo Fakten und Meinungen verschwimmen und Rhetorik sowie Fachwissen wenig Chancen gegen schnelllebige, unterhaltsame Bilder haben. Parteien, die das kommunikative Potenzial hinter der Digitalisierung des Lebens nicht erkennen, werden bald den Kürzeren bei Wahlen ziehen.
The future is now, old man.
Aus urheberrechtlichen Gründen ist es schwer, politische Memes direkt in diesem Blogbeitrag einzufügen. Auf der Seite knowyourmeme.com gibt es jedoch zahlreiche Beispiele, unter anderem:
Pepe the frog: https://knowyourmeme.com/memes/pepe-the-frog
Condescending Wonka: https://knowyourmeme.com/memes/condescending-wonka-creepy-wonka
Bernie Sanders: https://knowyourmeme.com/memes/bernie-sanders-wearing-mittens-sitting-in-a-chair
https://knowyourmeme.com/memes/i-am-once-again-asking-for-your-financial-support
Donald Trump: https://knowyourmeme.com/memes/people/donald-trump