Graz ist (dunkel)rot: Das Erfolgsrezept der steirischen KPÖ

Die Kinnladen hingen tief am Nachmittag des 26. September. Über 28% in der ersten Hochrechnung für die KPÖ-Graz bei der Gemeinderatswahl 2021. Nach einiger Zeit war dann klar: Auch den ersten Platz nimmt ihnen die ÖVP sicher nicht mehr, die prozentuelle Schwankungsbreite ist bereits zu gering. Damit hatten nur die Wenigsten gerechnet, trotz der breiten Kritik an Langzeitbürgermeister Nagl (ÖVP) im Vorfeld der Wahlen. Wie kann es sein, dass eine Partei, die bundesweit (und in 8 von 9 Landtagen) eine derartig geringe Rolle spielt, Österreichs zweitgrößte Stadt erobert? Ein Beitrag über soziales Engagement und politische Eliten.

Ein langer Weg

Die Kommunistische Partei Österreichs hatte es nicht immer und überall so leicht wie in Graz. Obwohl die Partei bereits 1918 gegründet wurde und damit eine der ältesten noch bestehenden Parteien Österreichs ist, kämpfte die Partei bereits in der Vorkriegszeit mit der gewaltigen Dominanz der heimischen Sozialdemokratie. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als man gemeinsam mit der SPÖ und der ÖVP die Übergangsregierung der Besatzungszeit bildete, ließ die heimische Wählerschaft schnell durchblicken, dass eine kommunistische Alternative zu den zwei Großparteien keine allzu rosige Zukunft hätte. Zu groß war die Angst einer sowjetischen Unterwanderung, zu etabliert die SPÖ als linke Alternative mit ihrem demokratischen Fundament. Die besten Ergebnisse der KPÖ bei Nationalratswahlen beschränkten sich auf magere 5% während der Nachkriegszeit, daneben konnten hin und wieder Mandate bei etwaigen Landtagswahlen errungen werden. Ein Herantasten an größere Erfolge kam erst nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus im Ostblock Anfang der Neunziger, mit dem die Partei in der Bevölkerung oft geistig verbunden ist. Hört man das Wort Kommunismus, verbindet man den Begriff als Bürger eines westlichen, kapitalistisch-demokratischen Staates oft mit autoritärer Politik und Menschenrechtsverletzungen. Trotzdem erkämpft die Grazer KPÖ seit über zwanzig Jahren von Wahl zu Wahl immer mehr Stimmen, nun scheint die steirische Hauptstadt sogar die erste kommunistische Bürgermeisterin zu erleben. Wie kam das?

Ernest, Elke und die soziale Wende

Der Aufstieg des Grazer Kommunismus begann im Jahr 1998, als ein gewisser Ernest Kaltenegger (gemeinsam mit seinen ParteikollegInnen) eine politische Eingebung hatte. Selbst in Armut aufgewachsen, kümmerte er sich fortan gemäß seiner kommunistischen Überzeugungen persönlich um die kleinen Anliegen des ebenso kleinen Mannes, vor allem um die teils schwer heruntergekommenen Grazer Sozialbauten, bei deren Instandhaltung er auch selbst hin und wieder Hand angelegt haben soll. Seine zweite zündende Idee war eine ebenso radikale: Die KPÖ solle nicht nur vollkommen offen mit ihren Finanzen umgehen, sondern er entschloss sich dazu, mehr als die Hälfte seines Gehaltes an bedürftige Menschen zu spenden. Dieser Schritt in Richtung Transparenz & Gemeinschaft hat sich seitdem zu einem jährlichen Event entwickelt, wo die Berufspolitiker der KPÖ einen Großteil ihrer Gehälter öffentlichkeitswirksam verteilen. Bei den steirischen Wählern kam das offensichtlich gut an: Kaltenegger schaffte es nicht nur zum Wohnbaustadtrat (1998 – 2005) von Graz, sondern zog später auch als selbst erstmals nach 35 Jahren wieder mit der KPÖ in den Landttag ein. Als Kaltenegger aus gesundheitlichen Gründen in die zweite Reihe zurücktrat, übergab er einer gewissen Elke Kahr die Fackel der Grazer KPÖ. Die langjährige Gemeinderätin führt seither sein soziales Werk fort, indem sie sich unter anderem persönlich beim städtischen Mieternotruf engagiert. Eine Tätigkeit, die sie in der Landeshauptstadt irrsinnig populär machte. So populär, dass sie die KPÖ erstmals zu einem Sieg bei der Gemeinderatswahl mitgerissen hatte, entgegen aller Erwartungen und sehr zum Unmut des Langzeitbürgermeisters Siegfried Nagl (ÖVP).

Was Politiker daraus lernen können (aber nicht werden)

Aus den Ergebnissen dieser Wahl könnte man nun einige Lehren ziehen. Zwar streng wissenschaftlich gesehen nicht, da 1. ein einzelner Untersuchungsfall selten Aussagekraft über verallgemeinernde Regeln innehat und 2. Graz sowieso anders ist, dennoch lassen sich gewisse Muster der modernen Politik und deren Ursachen deuten. Dass eine Partei, die außerhalb der Steiermark keine realpolitische Rolle spielt, auf der Gemeinde-Ebene derartige Ergebnisse erzielen kann, spricht für den Impact, den Lokalpolitiker auf Wahlentscheidungen haben können. Eh klar, wenn ich den Politiker, der mich vertreten soll, persönlich kenne, habe ich ein besseres Gefühl dafür, wie er mich vertreten wird. Demnach unterscheiden sich zum Beispiel auch die Gemeinderatswahlergebnisse von Graz teils eklatant vom Wahlverhalten der Grazer bei Nationalratswahlen. Daran anhängend wirkt es so, als wäre der Wähler des 21. Jahrhunderts grundlegend unzufrieden mit dem, was man die „politische Elite“ nennt. Der Begriff lässt sich zwar sozialwissenschaftlich nicht eindeutig definieren, man kann ihn allerdings anhand von Politikern wie Siegfried Nagl anschaulich darstellen. Alte, meiste aus bürgerlichen, akademischen Verhältnissen stammende „Sesselkleber“, die allein aufgrund ihres Netzwerkes aus Politik & Wirtschaft die sozialen Strukturen und Verhältnisse maßgeblich bestimmen. Die sich häufende Anzahl an Protestwählern, welche sich primär bei der rechtspopulistischen FPÖ sammeln, der Aufstieg der linksalternativen Grünen Partei in die Bundesregierung sowie er kürzliche Erfolg der KPÖ in Graz sollten bei den etablierten Parteien die Alarmglocken schrillen lassen. Es hat bestimmt einen Grund, warum sich die jungen Wähler vermehrt mit alternativen Parteien identifizieren können und es hat ebenso einen Grund, warum Politiker unter allen Berufsgruppen einen der schlechtesten Rufe weltweit haben. Den Zusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen zu erkennen, könnte wohl einigen etablierten Parteien zukünftig die Stimmzettel retten.