Wer wählt (noch) die SPÖ? – Die Selbstfindungsphase der Sozialdemokraten

Der Wohlfahrtsstaat, das „Rote Wien“ und die österreichische Arbeiterbewegung – alles Begriffe, die im untrennbaren Zusammenhang mit der 1889 in Hainfeld gegründeten SPÖ stehen. Die älteste (noch bestehende) „linke“ Partei der heimischen Politiklandschaft ist mittlerweile viel mehr als eine politische Interessensvertretung, durchdringt sie doch die Gesellschaft seit Jahrzehnten auf verschiedenen Ebenen. In den letzten Jahren, vorallem seit ihrem Übergang in die Opposition, bekommt man jedoch medial das Gefühl vermittelt, dass die Sozialdemokratie neben sich, oder besser ihren Wählern steht. Aber wer sind eigentlich die roten Wähler und was sagt das über die Gegenwart und Zukunft der SPÖ aus? Ein subjektive, aber nüchterne Analyse.

Partei der Arbeiter, Partei der Alten

Mit einem Blick auf die Namensgeschichte der SPÖ lässt sich schnell erahnen, welche Zielgruppe die Partei vertreten will: Als „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ gegründet wird seit jeher versucht, für die Rechte der ArbeiterInnen in den parlamentarischen Prozessen Österreichs einzustehen. Das mag der Partei früher auch die Vorherrschaft bei den Wählern dieser Gruppe eingebracht haben, im Laufe der Jahre sank der Stimmenanteil der Sozialdemokraten bei den ArbeiterInnen allerdings markant ab, bei der letzten Nationalratswahl (2019) entschieden sich tatsächlich nur 23% dieser Wählergruppe für die SPÖ, was zirka dem bundesweiten Endergebnis entspricht (21%). Zum Vergleich: Die Freiheitlichen schafften es, unglaubliche 48% der ArbeiterInnen hinter sich zu bringen, was in einem krassen Missverhältnis zum Gesamtergebnis der FPÖ (16%) steht. So gesehen macht die allgemeine Einschätzung, dass die SPÖ von den Freiheitlichen als „Arbeiterpratei“ langsam aber sicher abgelöst wurde, immer mehr Sinn. Soetwas wie eine Hochburg der Sozialdemokratie sind die Pensionisten: 31% der Rentner geben ihre Stimme den Roten. Die ÖVP unter Sebastian Kurz versteht es allerdings, dem ideologischen Rivalen hier stimmenmäßig den Rang abzulaufen. Ganze 45% der Pensionisten geben der Neuen Volkspartei ihre Stimme. Berechtigterweise darf man sich jetzt fragen, wo denn die SPÖ überdurchschnittlich stark ist, wenn nicht in ihrer angestrebten Wählergruppe. Die Antwort ist eher ernüchternd: Weder bei den Angestellten, noch bei den Frauen oder Männern generell, auch nicht bei den Wählern unter 65 Jahren kann eine signifikante Wählerschicht ausgemacht werden. Lediglich bei den Pflichtschulabsolventen und in den Großstädten ist die größte Linkspartei Österreichs (mit kleinem Vorsprung) stimmenführend.

Eine düstere Zukunft

Klar ist, dass der große Zuspruch für die SPÖ unter den Pensionisten kein Zukunftsversprechen für die Partei ist. Auch diese Generation wird eher früher als später von uns gehen und nach derzeitigem Stand ein riesiges Loch in der roten Wählerschaft hinterlassen. Mit diesem Problem wird sich zwar auch die aktuell so starke ÖVP auseinandersetzen müssen, allerdings können die Türkisen unter Sebastian Kurz auf wesentlich mehr Zuspruch unter den jüngeren Stimmberechtigten bauen, sodass konstant gute Wahlergebnisse um die 30% bei Nationalratswahlen für die Zukunft realistisch erscheinen und die Chance, in den nächsten Jahren mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden, relativ hoch bleiben. Genau hier sollte meiner Meinung nach die Panik der Sozialdemokraten einsetzen: Eine weiterer Absturz der Roten bei bundesweiten Wahlen und damit die Verdrängung in eine dauerhafte Oppositionsrolle ist nicht nur möglich, sondern vorhersehbar. Der Kurs der Volkspartei unter Kurz baut unter anderem auf einer Kritik der klassischen rot-schwarzen Koalition auf, weshalb eine Neuauflage in der Zukunft unwahrscheinlich ist, eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen FPÖ ein absoluter Tabubruch. Lediglich ein rot-grün-pinke „links-liberale“ Koalition wäre vorstellbar, würde aber nach derzeitigen Umfragen knapp nicht auf die notwendigen 50% der Wählerstimmen kommen. Ziemlich beunruhigend, wenn man bedenkt, dass die klassische Interpretation der beißenden Oppositionsrolle den Sozialdemokraten derzeit gar nicht steht. Pamela Rendi-Wagner ist eine fachlich kompetente Parteichefin, aber keine Nervensäge wie Heinz-Christian Strache oder Matthias Strolz, welche die Arbeit der Regierungsparteien ihrerzeit polarisierend ins rhetorische Kreuzfeuer nahmen.

Zwischen vergebenen Chancen und versuchter Neupositionierung

Was bedeutet das alles für die nahe und ferne Zukunft der SPÖ? Nach derzeitigem Stand wirkt es so, als würde die Sozialdemokratie beinahe schon bewusst ihre Chancen verschlafen und in einem Zwischenzustand verweilen, wo keiner so genau weiß, wofür sie eigentlich stehen. Die soziale Politik, die sogar im Namen der Partei zu finden ist, ist in den letzten Jahren mehr als kurz gekommen. Im Jahr 2015, als zigtausende flüchtende Menschen das Land in der Hoffnung auf Schutz durchquerten schaffte es die SPÖ unter dem Druck der Umfragen nicht, sich gemäß ihrer sinngebenden, langjährigen Parteilinie zu positionieren und überließ den rechten Parteien des Landes das Primat im Migrationsdiskurs. Das neue Motto unter Rendi-Wagner, „Menschlichkeit“, erscheint in diesem Kontext mehr als zynisch. Innerhalb der Partei dürfte die soziale Frage ebenfalls für Diskussionsstoff sorgen, die Parteigranden in der Löwelstraße scheinen sich weder bei den konkreten politischen Inhalten, noch bei der Besetzung der Parteichefin einig zu sein. Der dem rechten Flügel der Partei angehörige burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil distanzierte sich gar komplett von der Bundespartei. Die aktuellen großen Themen der globalen Linken – die Frauenbewegung und die Umweltpolitik – überließ die heimische Sozialdemokratie ebenfalls jahrelang den Grünen und den NEOS. Jetzt, wo diese Themen politisch trenden (der Umweltschutz war sogar das meistdiskutierte Thema des letzten Wahlkampfes), fällt es natürlich schwer, sich hier als konstruktive Problemlöser zu präsentieren, gerade, wenn man selber jahrzehntelang als Regierungspartei effektive Klimapolitik verschlafen hat. Bleiben die aktuellen Entwicklungen konstant, könnten die Grünen gar die SPÖ als größte Linkspartei des Bundes ablösen. Brachliegende Politikfelder, wie eine klassische sozialistische Internationalisierung der Problemlösung in der Umwelt-, Frauenrechts- sowie Coronapolitik zu verfolgen, gibt es zwar wie Sand am Meer. Nach den letzten Jahre scheint es aber eher so, als würde die Sozialdemokratie auch die Chancen verschlafen und so ihre Wahrnehmung als orientierungslose Partei bestätigen.


Nach diesem doch eher subjektiven Beitrag ist vielleicht eine politikwissenschaftlichere Analyse interessant. Anton Pelinka hat sich der Frage um die Zukunft der SPÖ in einem recht interessanten Interview gewidmet:

https://www.meinbezirk.at/graz/c-politik/warum-die-spoe-reif-fuers-museum-sein-koennte_a4349615