Warum sich Demokratien nicht bekriegen

„War never changes“. Mit diesem Slogan kündigen die Videospielhersteller der Bethesta Studios jedes Mal ihren neuen Ableger der postapokalyptischen Spielereihe „Fallout“ an. Wenn man sich mit den tausenden Jahren der dokumentierten Menschheitsgeschichte auseinandersetzt versteht man auch, warum sie das tun: Krieg ist scheinbar eine der ältesten und konstantesten Konfliktlösungsmethoden des Menschen, das belegen schon die Aufzeichnungen der Mesopotamier und alten Römer. Auch unsere Republik ist aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs entstanden, seitdem ist an militärische Einsätze auf dem Staatsgebiet Österreichs nicht mehr zu denken. Kann das rein auf die „immerwährende“ österreichische Neutralität zurückgeführt werden, oder verbirgt sich hinter der längsten Friedensperiode der hiesigen Geschichte ein größeres Phänomen?

Der Mythos der brutalen Menschheit

Die derzeitigen bewaffneten Auseinandersetzungen im Nahen Osten lassen einen schnell zu dem Schluss kommen, dass soetwas wie ein richtiger Friede unmöglich ist, zumindest in manchen Regionen der Welt. Aber selbst auf jenen Flecken der Erde, wo die Menschen derzeit (halbwegs) friedlich zusammenleben, gab es mal verheerende Konflikte: Europa ist unter anderem von zwei Weltkriegen gebeutelt, in Nordamerika wurden Millionen von Ureinwohnern durch die Kolonialisten hingerichtet und der fanatischen Imperialismus des japanischen Kaiserreiches forderte im fernen Osten seine Opfer. So überraschend das in Anbetracht der brutalen zwischenstaatlichen Geschichte ist, der Slogan „war never changes“ trifft in der heutigen Zeit dennoch nicht mehr so eindeutig zu, wie man vermuten würde. Der klassische Krieg als beiläufige Gepflogenheit der internationalen Beziehungen hat sich verändert.

Schöne neue Welt

Das in der Politikwissenschaft als „Demokratischer Friede“ bekannte Phänomen zeigt, dass in der Gegenwart gewaltsame Konflikte zwischen demokratischen Staaten statistisch äußerst selten vorkommen – so selten, dass man den Demokratischen Frieden teilweise als einziges, sicher beweisbares Gesetz in der Forschung der Internationalen Beziehungen ansieht. In Regionen, in denen die Demokratie westlichen Typs als Staatsform vorherrschend ist, bedeutet dies demensprechend auch, dass der zwischenstaatliche Friede so gut wie immer gesichert ist – siehe das moderne Europa oder den amerikanischen Kontinent. Die Erklärungsansätze dafür unterscheiden sich je nach Theorienschule: Strukturell-Institutionelle Ansätze machen die komplexen, aber vor allem langsamen Entscheidungsprozesse in Demokratien für die Bevorzugung friedlicher Konfliktlösungsmethoden verantwortlich, welche schnellen (militärischen) Eskalationen im Wege steht. Kulturell-normative Deutungen verweisen auf die konfliktvermeidenden Grundwerte, welche in den meisten demokratischen Gebieten tief in der Verfassung und Gesellschaft verankert sind. Diese werden dann auch im Umgang mit fremden Staaten gelebt. Sozial-konstruktivistische Erklärungen hingegen unterstellen Demokratien, dass sie andere demokratische Staaten als gleichartig wahrnehmen und sich gemeinsam als Teil einer friedlichen Gruppe sehen, nie als Feinde. Egal welchen der drei Ansätze man verfolgt, alle könnten erklären, warum wir im demokratischen Österreich vor Kriegen verschont bleiben.

Der Haken an der Sache

Die Theorie des Demokratischen Frieden hat allerdings einen großen, finsteren Plot-Twist. Demokratien setzen zwar unter sich auf Dialog, wenn sie allerdings mit Autokratien aneinanderkrachen, verwenden sie den Krieg umso lieber als Konfliktlösungmethode. Dieser „Doppelfund“ stellt die verschiedenen Theorienschulen nun vor große Probleme. Wieso können denn die nie-endenden bürokratische Prozesse in demokratischen Staaten militärische Eskalation verhindern, aber nur wenn sich die Aggression gegen Demokratien richtet (strukturell-institutioneller Ansatz)? Genauso verwunderlich ist es, wieso die friedlichen Grundwerte der Staaten bei Konflikten mit Autokratien nicht kriegsverhindernd wirken (kulturell-normative Deutung). Einzig die Sozial-konstruktivistische Erklärung kann mit ihrer Theorie der Gruppenbildung das gewaltätige Handeln gegen Nicht-Demokratien erklären, setzt sich allerdings dabei aber einer ziemlichen Willkür aus, da sich im Endeffekt ja jeder Staat selber als Demokratie wahrnehmen kann – und dass auch viele klar autokratische Regime tun. Vermutlich findet sich in allen drei Ansätzen ein Weg, um eine schlüssige Erklärung für ein empirisch unangefochtenes Phänomen zu bieten.

Utilitarismus

Vielleicht sollte der Fokus aber auch gar nicht so sehr auf der Suche nach einer erklärenden Theorie liegen. Die Beobachtung zeigt mir eher, dass, um Krieg und damit Leid zu verhindern, ein weltweiter Demokratisierungsprozess entscheidend sein könnte, unabhängig von der Erklärung hinter dem Phänomen. Übrigens: Die meiner Meinung nach schlüssigste Theorie zum Thema ist vielleicht gar keine der Internationalen Beziehungen, sondern eine ökonomische. Die zwischenstaatliche wirtschaftliche Verflechtung durch die kapitalistische Marktordnung könnte dafür verantwortlich sein, dass sich Staaten lieber zweimal Überlegen, gewaltbereit zu werden, da sie daduch ihre eigene wirtschaftliche Existenz gefährden. Die Frage, welche Nachteile dieses Verhalten hat und ob die soziale Unterdrückung durch den Kapitalismus dadurch irgendwie zu rechtfertigen ist, verdient sich einen eigenen Blogeintrag. Den Demokratischen Frieden betrachtet die Republik Österreich jedenfalls aus einer utilitaristischen Perspektive, denn er nützt ihr. Also: „War never changes“…oder doch?