Kommentar: Die stillen Opfer des Nahostkonflikts

An kaum einem Menschen wird die Berichterstattung über die Gefechte im Zuge des Nahostkonfliktes in den letzten Tagen vorbeigegangen sein. Bis Mittwoch Früh meldete Israel rund 1.000 aus dem Gazastreifen abgefeuerte Raketen, über die Anzahl der Vergeltungsschläge der israelischen Armee kann wohl nur gemutmaßt werden. Das bekannte Raketenabwehrsystem Israels, der „Iron Dome“, schützt die Einheimischen (weitgehend) vor Angriffen, auf palästinensischer Seite existiert kein derartiger Schutz für die Zivilbevölkerung. Wie kann es sein, dass das Leid der wahren Opfer der Krise medial so dermaßen untergeht? Ein Kommentar zu einem nie endenden Konflikt.

Äußerungen zum Nahostkonflikt sind meistens ein rotes Tuch. Durch die Polarisierung des Themas ist es schwer, Meinungen abzugeben, ohne sofort einer „Seite“ zugeordnet zu werden, geschweige denn, die ewige Diskussion ein weiteres mal zu entfachen. Verständlich, einige Menschen in meinem Umfeld sind direkt davon betroffen, die, die es nicht sind, haben trotzdem Standpunkte dazu. Dementsprechend versuche ich meistens, dem Thema aus dem Weg zu gehen. Nur, als ich im Zuge eines Seminars an der Universität dann selbst mal eine wissenschaftliche Arbeit zum strukturellen Rassismus im politischen Diskurs Israels schrieb, merkte ich, wie schwer es wirklich ist, über so sensible Konflikte trocken und nicht polemisch zu schreiben. Die Arbeit musste (gottseidank!) nur acht Seiten lang sein und war damit schnell geschrieben, die Auseinandersetzung im Nahen Osten läuft hingegen seit Jahren und wird, so wie es scheint, noch eine ganze Weile dauern.

Denn kein Entscheidungsträger in diesem Konflikt hat ein ernsthaftes Interesse, das Leid der Unschuldigen zu beenden, davon bin ich fest überzeugt. Die Hamas als politische Machthaber im Gazastreifen versuchen immer wieder, mit Raketenangriffen eine militärische Reaktion Israels zu provozieren, meistens mit Erfolg. Ein Angriff ohne Vergeltungsschlag wäre ein Zeichen von Schwäche der israelischen Seite. Dass die Hamas damit die eigene Zivilbevölkerung durch die Sprengköpfe (rund 20% der Raketen explodieren im eigenen Gebiet ) und die strategische Antwort Israels gefährden, scheint zweitrangig zu sein. Genausowenig Interesse an einer Deeskalation haben offensichtlich die israelischen Verantwortlichen: Die Angriffe der palästinensischen Seite als Reaktion auf die drohenden, fragwürdigen Enteignungen von Arabern im Viertel Scheich Jarrah durch die israelische Regierung kommt dem rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gerade recht, da er durch einen Korruptionsprozess sowie die vierte (!) Knesset-Wahl innerhalb von 2 Jahren ohnehin große Imageprobleme bekommen hat und mit militärischen Reaktionen sein politisches Bild als „starker Mann“ und Beschützer der jüdischen Bevölkerung in Israel wahren kann. Seine aggressive Siedlungspolitik im Westjordanland ist nicht nur konfliktfördern, sie verletzt auch geltendes Völkerrecht.

Unabhängig von den wahnsinnigen Aktionen der Machthaber auf israelischer und palästinensischer Seite sowie deren Rechtfertigungsversuchen, sollten sie auch noch so gut argumentiert werden, schockiert mich vor allem die Apathie der Weltgemeinschaft in Bezug auf die wahren Opfer des Konflikts: Die Zivilbevölkerung. Wie in jeder staatlichen Auseinandersetzung ist es in der Berichterstattung, wie auch in der Internationalen Politik scheinbar wichtig, wer auf wessen Seite steht, ebenso wer recht hat und wer nicht. Wenn berichtet wird, dass bisher mindestens 35 Palästinenser getötet wurden, darunter drei Frauen und 12 Kinder, die nicht durch hochmoderne Raketenabfangsysteme geschützt werden können, verschließt allerdings der Großteil der Welt lieber strategisch die Augen, anstatt sich einzumischen. Ich für meinen Teil habe natürlich auch keine Lösung für diesen Konflikt, allerdings glaube ich, dass echter Friede erst entstehen kann, wenn sich die Menschen bewusst dazu entscheiden. Eine demokratische Abwahl von Machthabern, deren Taktik auf Provokation oder Vergeltungsschlägen basiert, wäre ein guter Anfang.