Wie impfwillig sind die Österreicher wirklich?

Als ich diesen Samstag, wie jeden Morgen um 10:30 seit geraumer Zeit, das Impfdashboard des Gesundheitsministeriums öffnete um mir die täglich aktualisierte Anzahl der in Österreich verabreichten Impfdosen zur Bekämpfung des Coronavirus anzuschauen, staunte ich nicht schlecht: Mit 99.317 Impfungen wurde am Freitag, den 8. Mai ein neuer Tagesrekord aufgestellt. Dass ist zwar angesichts der aktuellen Zuverlässigkeit der Lieferanten Pfizer, Moderna und (mit Abstrichen auch) AstraZeneca keine große Überraschung, allerdings bekommt man als interessierter Bürger medial oft das Gefühl vermittelt, dass die Österreicher in Bezug auf die Impfung dann doch eher skeptisch als zuversichtlich sind. Demos gegen Impfzwang und Corona-Maßnahmen sowie besorgniserregende Meinungen im Internet auf der einen Seite, wöchentlich steigende Impfzahlen auf der anderen Seite. Da fragt man sich doch, wie hoch die Bereitschaft der Bevölkerung, sich mit den relativ neuen Impfstoffen gegen das Coronavirus impfen zu lassen, wirklich ist.

Um eine halbwegs realistische Antwort auf diese Frage zu bekommen reicht es meiner Meinung nach nicht, die Tageszeitungen der österreichischen Medienlandschaft zu durchforsten bis man sich eine Wahrheit zusammengereimt hat. Ein zielführender Ansatz wäre es, über groß angelegte Studien die Meinung der Österreicher zu den verschiedenen Themen rund um COVID-19 zu ergründen, um nicht der Gefahr des medialen „Bias“ ausgesetzt zu werden. Eine Forschungsgruppe der Universität Wien, unter anderem mit den zwei hochkompetenten Politikwissenschaftlerinnen Sylvia Kritzinger und Barbara Prainsack, hat genau diesen Ansatz gewählt, um Interessierten einen Einblick in die Meinung der Bevölkerung zur Pandemie, den Impfungen, den Maßnahmen der Politik und etlichen weiteren Themen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive zu geben. Unter dem Namen „Austria Corona Panel Project“ (kurz: ACPP) werden daher seit Monaten regelmäßig Umfragen durchgeführt, deren Ergebnisse mitunter sehr spannend sind.

Zum Beispiel werden die 1500 Teilnehmer der Studie seit einem Jahr immer wieder gefragt, ob sie der Aussage „Ich werde mich ehemöglich impfen lassen“ zustimmen. Im Mai 2020 stimmten 45% der Befragten der Aussage zu (27% antworteten mit „Trifft voll und ganz zu“ + 18% mit „Trifft eher zu“), während nur 32% widersprachen (19% „Trifft gar nicht zu“ + 13% „Trifft eher nicht zu“) und sich 17% der Befragten unsicher war. Im Laufe der Monate drehte sich dieses Bild, sodass im Oktober und Dezember, als die Impfdebatte ein diskursives Hoch erreichte, die Mehrheit der Teilnehmer skeptisch gegenüber der Impfung wurde. Verständlich, da wohl die meisten Österreicher zu dieser Zeit von der verhältnismäßig schnellen Zulassung von Comirnaty & Co verunsichert war. Mit Beginn der Impfkampagne in Österreich im Januar 2021 schlug der Trend allerdings wieder eindeutig in die andere Richtung, sodass bei der letzten Befragung Mitte April die Mehrheit der repräsentativ ausgewählten Teilnehmer offensichtlich wieder positiv gegenüber der Impfung eingestellt sind, 22% der Befragten auch schon geimpft. Alles deutet also darauf hin, dass durch die vielen komplikationslosen Immunisierungen und die Aufklärung über die möglichen Folgen der Impfung, die Impfwilligkeit des Österreichers gestiegen ist. Dazu sei allerdings gesagt, dass ich über die Gründe für die Impfbereitschaft der Bevölkerungerung selbst nur mutmaßen kann.

Neben diesen Daten gibt es noch eine Fülle an weiteren interessanten Erhebungen: Die Befragungen des ACPP zeigen, dass neben dem Impfstoff von Astra Zeneca (40% wollen sich sicher nicht damit impfen lassen) vorallem die Regierung ihren Vertrauensvorschuss im Laufe der Pandemie verspielt hat. Am 1. April 2020 lag der durchschnittliche Vertrauensindex von Türkis-Grün auf einer Skala von 1-10 bei einer starken 7, ein Jahr später nur mehr knapp über 4. Kein Aprilscherz ist für die Österreicher allerdings die Arbeit der Wissenschaft sowie des Gesundheitswesens, hier kann das meisten Vertrauen beobachtet werden. Die in der Einleitung angesprochenen Demos gegen die Corona-Maßnahmen polarisieren interessanterweise nicht ansatzweise so stark, wie man der Berichterstattung nach annehmen würde. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung unterstützt die Demonstrationen gegen die Maßnahmen nicht, 78% würden nicht an einer Demo teilnehmen und 81% schon gar nicht, wenn diese Versammlung nicht angemeldet wäre.

Mit den erhobenen Daten des ACPP kann man sich stundenlang beschäftigen, falls man Zeit totschlagen muss. Man kommt jedenfalls schnell zu der Erkenntnis, dass die Berichterstattung in Zeitungen, im Fernsehen oder Online die eigene Wahrnehmung der Pandemie mehr beeinflussen kann, als es einem bewusst ist. In der „Impf-Frage“ sind die Österreicher wohl doch nicht so zerrissen, wie es manche predigen.


Das „Austria Corona Panel Project“ bietet in bereits über 100 Blogeinträgen Informationen zu ihrer Forschung rund um die Coronapandemie. Für Interessierte:

https://viecer.univie.ac.at/coronapanel/